„Was heißt denn erwartet?“
„Was meinst du?“
„Hier steht: Für den 20.03. wird ein Zahlungseingang der Börnsen GmbH in Höhe von 15 400 Euro erwartet.“
„Ach so, ja: dass man ab diesem Tag mit dem Geld rechnen kann.“
„Kommt das Geld denn sicher oder hofft man es nur?“
„Hm. Sehr gute Frage. Danke.“
Ziemlich genau so lief das Unterrichtsgespräch, gefolgt von schülerseitigem Genörgel, warum die Aufgabenstellung so unpräzise sei und wie man dann damit rechnen solle, es mache doch einen großen Unterschied für die Liquidität und den Kreditbedarf unseres Beispielunternehmens, ob die Börnsen GmbH wirklich zahle oder nur zahlen solle. Und außerdem sei erst am Montag in einer anderen Aufgabe bei Frau Sowieso nicht klar gewesen, was da nun genau gerechnet werden sollte, und so fort. So gehe das doch nicht, das könne man als Lehrer doch nicht anbieten.
Man gibt sich große Mühe als Lehrkraft, als Team, die oder das Unterrichtsmaterial erstellt, Probleme und Aufgaben zu konzipieren, die herausfordernd, realitätsnah, geeignet für den Unterricht und den Aufbau beruflicher Handlungskompetenz sind. Immer wieder unterlaufen einem dabei – was nur menschlich ist – Fehler, Ungenauigkeiten, Unschärfen, die meist erst im Unterricht auffallen, den Schülerinnen und Schülern häufiger als einem selbst, Stichwort „betriebsblind“.
Jetzt die Frage: Bringt es den Schülerinnen und Schülern mehr, glasklar designte Lernaufgaben abzuarbeiten, in der alle Einflussfaktoren präzise aufgelistet und beschrieben sind, oder hat nicht eine – unabsichtlich, ja – unscharfe und ungenaue Problemstellung viel mehr Potenzial, die Auszubildenden ins Denken zu bringen, Eventualitäten und deren Auswirkungen abzuwägen, kurz: die berufliche Handlungskompetenz wirklich zu stärken?
Im betriebswirtschaftlichen Schlaraffenland kommt jedes Unternehmen und jede Privatperson ihren Zahlungsverpflichtungen pünktlich nach, alle Player verhalten sich immer vorhersehbar und kommunizieren transparent – in Wirklichkeit hängt Tag für Tag die Existenz vieler Unternehmen genau davon ab, ob die Kunden X, Y und Z pünktlich zahlen, erst nach zweiter Mahnung oder gar nicht.
Feiern wir also im Unterricht den Fehler – wie auch immer er zustande gekommen sein mag!
gw
